Sept. 97


Wo andere aufhören, fängt er an


Der ehemalige Programnmchef des MDR, Horst-Wolfgang Bremke, ist seit April 1995 Programmdirektor des Regionalsenders FAB in Berlin. Der Erfinder der "NDR Talk Show" und der MDR-Talkshow "Riverboat" moderiert bei FAB "Berlin - Gesichter einer Weltstadt". Seine Vision: ein lebenspralles Ballungsraum-Fernsehen, mit Verkehrsnachrichten und Senatsdebatten, von der Off-Szene bis zur Hochkultur. Sein Traum: Sender sanieren.

 

Vorsicht mit Horst-Wolfgang Bremke: Wer es lau liebt, sollte dem Mann nicht zu nahe kommen. Denn Bremke brennt. Im Gespräch oder auch in seiner Talkshow "Berlin - Gesichter einer Weltstadt" (samstags, 19.30 Uhr) wirkt er besonnen, interessiert, sachkundig. Seine Neugier hält er im Zaum. Bei ihm gibt es keine Indiskretionen, kein Bohren in offenen Wunden, keine Ohrfeigen für den Eingeladenen. Ob Zauberkünstler oder Udo Jürgens, ob Rockröhre, Galeristin oder Unternehmer - der Gastgeber inszeniert nicht sich selbst, sondern gibt den Gästen die Ehre. Am 6. September talkt er zum 100. Mal, und während der IFA (30.8. bis 6.9.) steht der TV-Profi täglich live am Kurfürstendamm/Ecke Lehniner Platz mit seiner Show vor der Kamera. Bremke lebt für das Fernsehen, für richtig gutes, unterhaltsames, interessantes, menschenfreundliches Programm. Als er 1995, sozusagen als Feuerwehrmann, FAB-Fernsehen aus Berlin übernahm, stand der Sender - "ein Schrotthaufen" - kurz vor dem Konkurs. Langsam, aber stetig entwickelt sich FAB nun zum Spiegelbild der deutschen Metropole im Herzen Europas und trägt ganz allmählich auch Bremkes Handschrift als Programmdirektor. ... Für seine eigene Sendung "Berlin - Gesichter einer Weltstadt" ist Bremke Locationscout (z.B. Einkaufscenter, Hotels, Restaurants in und um Berlin,  sogar ein Zeppelin), Kostümbildner, Requisiteur und natürlich Redakteur, Aufnahmeleiter und Moderator in einem. In seiner Freizeit sucht er die Gesprächspartner, die für ihn "der Humusboden sind, aus dem interessante kulturelle Showpflänzchen wachsen können, die später eine Weltstadt ausmachen."

"Eine umworbene Braut" geschaffen

Ein Berliner Rundfunksender lobte kürzlich, Bremke habe "aus dem Aschenputtel FAB eine umworbene Braut" gemacht. Tatsächlich interessieren sich unter anderen Thomas Kirch und eine Hamburger Investorengruppe um Frank Otto sowie Investoren aus England und Kanada für den Sender. ... Bremke ist jedenfalls vorbereitet: "Ich habe im Verlauf des letzten Jahres ein 24stündiges Vollprogramm aufgebaut, in dem ‚man stündlich oder halbstündlich Nachrichten unterbringen kann"...

Und Bremke hat vielfach mit Erfolg bewiesen, daß er immer da anfängt, wo andere aufhören wollen. Der gebürtige Hamburger, Diplom-Volkswirt, Diplom-Politologe und Historiker, kam nach vier Jahren als Wirtschaftsredakteur der "Zeit" 1975 zur ARD. Dort war Bremke beim NDR Mitbegründer und Moderator des Wochenmagazins "extra drei" und des Wirtschaftsmagazins "Plusminus", Mitbegründer der "Tagesthemen", Erfinder der "NDR Ta]k Show" - alles Sendungen, die bis heute zu den Quotenhits des deutschen Fernsehens gehören ... 1991 wechselte Bremke zum neu gegründeten MDR, wo er in Dresden fast aus dem Nichts heraus einen kompletten Programmbereich (Unterhaltung, Fernsehspiel, Jugend. Dokumentation) aufbaute und drei Jahre als Programmchef arbeitete. Klug hielt er beliebte Publikumssendungen der DDR wie "Glück muß man haben" und "Achims Hitparade" im Programm, startete 17 Neuproduktionen pro Woche, darunter preisgekrönte Fernsehspiele wie "Das gläserne Haus", "Tatort"-Highlights wie "Die Narbe des Himmels", die Tiersendung "Abenteuer Zoo", Mode- und Reisemagazine, Servicesendungen, Satire- und Kleinkunstprogramme. Selbst "Reality-TV" gab es zuerst in Dresden: "Kripo live" arbeitete mit echten Polizei-Bildern. Und die von Bremke gestartete "Riverboat"-Talkshow ist bis heute die erfolgreichste Produktion des MDR. Manche haben Bremke schon für seine überbordende Energie, sein ständiges Fordern, seine Ungeduld und sein Tempo zur Hölle gewünscht. Und in der Tat endete seine Zeit beim MDR mit einem handfesten Krach. Er wäre nicht Bremke, wenn ihn die unverwirklichten Pläne nicht heute noch schmerzen würden. Trotzdem stellt er positive Erinnerungen in den Vordergrund: "Ich habe beim NDR und beim MDR eine Menge gelernt. Und ich bin wohl einer der wenigen in Deutschland, die diese Bandbreite entfalten konnten." Seine Erfahrungen und Kenntnisse als Mann des Aufbaus und als "Feuerwehrmann" prädestinieren ihn geradezu als Sender-Sanierer mit individuellen Lösungsangeboten. Daß sein Ideen-Feuerwerk irgendwann einmal erlöschen könnte, ist kaum anzunehmen. 

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Susanne Lost (defd-tvs)